Monat: Juni 2015

 

Eltern schicken Kinder zur Nachhilfe – auch bei sehr guten Noten

nachhilfeDeutsche Schulen fördern Kinder nicht genug, davon ist nach einer neuen Studie jeder vierte Elternteil überzeugt. Väter und Mütter setzen auf zusätzliche Unterstützung und Nachhilfe. Und: je besser die Noten, umso stärker.
Ganz offensichtlich trauen viele Eltern den Lehrern nicht zu, ihren Kindern genügend beizubringen: Jeder vierte Elternteil glaubt, dass Schulen ihre Schüler generell zu wenig fördern. Eine neue Forsa-Studie zeigt, wie groß der Ehrgeiz der Erziehungsberechtigten ist – und wie hoch die Erwartungen sind, die sie mit den Bildungsleistungen ihrer Kinder verknüpfen.
Ein bizarres Detail belegt dabei, unter welchen Druck sich die Familien setzen: 83 Prozent aller befragten Väter und Mütter sind sogar dann besorgt, wenn die Schulnoten stimmen. Sie können sich vorstellen, ihr Kind dennoch zusätzlich zu fördern. Bei Schülern mit sehr guten Noten signalisieren sogar 86 Prozent diese Bereitschaft.
Das hat unterschiedliche Gründe:

  • Schreibt der Nachwuchs sehr gute Noten, wollen die Eltern mit zusätzlichen Angeboten wie Lernspielen, bezahlter Nachhilfe oder weiterführenden Aufgaben vor allem Fähigkeiten fördern, die in der Schule nicht ausreichend unterstützt werden (64 Prozent).
  • Bei Kindern mit weniger guten Noten möchten Mutter und Vater vor allem das Mitkommen in der Schule sichern (63 Prozent).
  • Zusätzliche Lernangebote seien generell sinnvoll, um die Noten zu verbessern, finden 59 Prozent der Eltern.
  • Gegen zusätzliche Lernangebote würde sich nur etwa jeder achte Elternteil (12 Prozent) entscheiden.

 
Für die repräsentative Studie im Auftrag der Lernplattform Scoyo wurden bundesweit 1004 Eltern mit schulpflichtigen Kindern befragt.
„Wir wissen, dass sich viele Schulen bei der individuellen Förderung schwertun“, kommentiert Eberhard Kwiatkowski, Vorsitzender der Landeselternkonferenz Nordrhein-Westfalen, die Zahlen: „Das ist sicherlich auch ein entscheidender Faktor für das Milliardengeschäft der Schülernachhilfe.“ Auch die G8-Einführung mit der verkürzten Gymnasialzeit habe zum Boom der Nachhilfe beigetragen.
Insgesamt nehmen, je nach Klassenstufe, Region und Schulform, zwischen sechs und 24 Prozent der Schüler in Deutschland kommerziellen Nachhilfeunterricht. Hinzu kommen privat vermittelte Nachhilfestunden.
him/dpa

Studie zu Nachhilfeunterricht

Nachhilfelehrer schöpfen Lern- und Entwicklungspotenziale von Schülern besser aus als Fachlehrer:

Lehrerin erteilt NachhilfeEine Studie zur „Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Nachhilfeunterricht“, die an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, kommt zu überraschenden Ergebnissen: Demnach ist professioneller, kommerzieller Nachhilfeunterricht mehr als nur eine kurzfristig gedachte und in seiner Wirksamkeit auf das entsprechende Nachhilfefach beschränkte Soforthilfe.
Vielmehr werden den Nachhilfeschülerinnen und -Schülern vielfach Lernkompetenzen vermittelt, von denen sie längerfristig und auch fächerübergreifend profitieren. Für die Studie wurden Eltern und Schüler des größten Anbieters kommerzieller Nachhilfe befragt – bundesweit repräsentativ ausgewählte Personen (418 Nachhilfeschüler mit jeweils einem Elternteil), verteilt auf insgesamt 43 Standorte des Institutes. Die Befragten schreiben den Nachhilfelehrkräften zum Teil mehr Kompetenzen zu als den Fachlehrern in der Schule.
„Nachhilfeunterricht ist ein alltägliches, bereits seit der Einrichtung öffentlicher höherer Schulen im 19. Jahrhundert existierendes Phänomen der Schulrealität“, so Professor Eiko Jürgens. „Es gibt aber nur sehr wenige empirische Befunde zu diesem Thema.“ So ist die nun vorgelegte Studie des Bielefelder Pädagogen und seines Teams der erste Schritt, eine Lücke der erziehungswissenschaftlichen Forschung zu schließen.
Knapp 80 Prozent der befragten Schüler des Institutes besuchen entweder das Gymnasium oder die Realschule. Am weitaus häufigsten wird Hilfe für die Fächer Mathematik, Englisch und Deutsch gebucht – auf die drei Fächer entfallen gut 80 Prozent der Nennungen. Nach den Angaben der Eltern und Schüler dient der Nachhilfeunterricht der Vorbereitung auf Klassenarbeiten, dem Ausgleich von Wissenslücken und vor allem der Verbesserung der Noten. Die Schüler sehen die Maßnahme tendenziell als kurzfristige Soforthilfe, die Eltern erhoffen sich eine längerfristige Erfolgsorientierung.
Überraschende Ergebnisse förderte die Studie bei der Frage nach der Qualifikation und den Kompetenzen der Nachhilfelehrkräfte zutage: „Die Befragten schreiben den Nachhilfelehrkräften, im Vergleich zur jeweiligen Fachlehrkraft in der Schule, weitaus höher ausgeprägte Kernkompetenzen – didaktische Kompetenz, Sach-, Diagnose- und Klassenführungskompetenz – zu“, erläutert Professor Eiko Jürgens. „Ein besonders großer Unterschied besteht aus Sicht der Befragten bezüglich der diagnostischen Kompetenz von Fach- und Nachhilfelehrkraft.“ Nahezu alle befragten Schüler (97 Prozent) und Eltern (95 Prozent) trauen der Nachhilfelehrkraft beispielsweise zu, die Fähigkeiten ihrer Nachhilfeschüler jeweils treffend einzuschätzen. Der betreffenden Fachlehrkraft sprechen dagegen fast ein Drittel der befragten Schüler und Eltern diese Kompetenz entweder teilweise oder sogar vollständig ab. „Dieses Ergebnis überrascht umso mehr, als ein kommerzielles Nachhilfeinstitut deutlich teurer als karitative Anbieter von Nachhilfe ist, und man daher durchaus kritische Beurteilungen der Kunden erwarten könnte.“
Mit der Studie konnten die Bielefelder Wissenschaftler nachweisen, dass der Nachhilfeunterricht erfolgreich ist. „In rund drei Vierteln der Fälle kommt es zu einer zensurenmäßig abbildbarenjule Leistungsverbesserung“, so Jürgens. „Und 96 Prozent jener, die sich verbessert haben, führen das auf den Nachhilfeunterricht zurück.“ Und: Die Inanspruchnahme von Nachhilfeunterricht unterstützt die Fähigkeit zu selbstständigem Lernen und wirkt sich deutlich positiv auf die Anstrengungsbereitschaft sowie das Interesse am Nachhilfefach aus. Ein exemplarischer Befund: Jeweils rund 60 Prozent der befragten Schüler und Eltern geben an, der Nachhilfeunterricht habe geholfen, ein bereits zuvor bestehendes Interesse am Nachhilfefach zu steigern beziehungsweise überhaupt erst zu entwickeln.
„Unsere Befragung liefert darüber hinaus eindeutige Hinweise darauf, dass die pädagogische Arbeit der Lehrkräfte des Nachhilfeinstituts einen deutlichen Beitrag zur Stärkung des allgemeinen Selbstvertrauens sowie zum Abbau von Leistungsangst bei den Nachhilfeschülern leistet“, stellt der Bielefelder Pädagoge heraus. Viele Schüler seien durch den Nachhilfeunterricht mehr vom eigenen Können im Fach und in der Schule insgesamt überzeugt. „In diesem Sinne geben beispielsweise etwa drei Viertel der befragten Schüler an, dass ihnen – seit sie Nachhilfeunterricht erhalten – das Lernen leichter falle und sie sich eher zutrauen, auch mit hohen Anforderungen zurechtzukommen.“
Kontakt:
Professor Dr. Eiko Jürgens,
Fakultät für Pädagogik / AG5: Schule und Unterricht
Tel. 0521 / 106-3302;
E-Mail: eiko.juergens@uni-bielefeld.de